The Second Puberty
by Lukas Schaaf
- English below -
Dieser Text ist eine Art Verschriftlichung eines kurzen Beitrags, während des Jugendsektions-Treffen im Mai am Warmonderhof in den Niederlanden. Die Gedanken darin entstanden in der Auseinandersetzung mit Maria Röschls „Vom zweiten Menschen in uns“.
Immer wieder erlebe ich in meinem Innern den Moment, an dem ich 27-jährig ans Freie Jugendseminar in Stuttgart kam: 35 junge Menschen in einem Haus, die mit ihrer Berührbarkeit, physisch und seelisch, so selbstverständlich umgingen, dass ich mich fahl und kühl daneben fühlte. In den folgenden Wochen stellte ich mir die Frage, ob ich mein schon gefestigtes, ja vielleicht etwas verbürgerlichtes Innenleben überhaupt würde umwandeln können; für eine „zweite Pubertät“ schien es mir einfach zu spät zu sein. Sie kam aber doch und ich erlebe es immer wieder auch an älteren Jugendseminaristen, dass so etwas wie eine Enteisung der Seele stattfindet.
Das ist auch erfahrbar an dem Umgang mit der Anthroposophie. Gab es zu Beginn bei mir ein hochmütiges Begutachten, so entwickelte ich (und so erlebe ich es bei anderen) eine Berührbarkeit durch die Gedanken, sodass die Anthroposophie nicht mehr ein intellektuelles Gedankenspiel ist, sondern tiefer erfahrbar wird.
Was ist da passiert? Erklärende Gesichtspunkte gibt es natürlich, gerade im Hinblick auf den Prozess an einem solchen Entwicklungsort wie dem Jugendseminar, der einen darin unterstützen soll, zu dem ganz Eigenen zu kommen. Doch kam mir in der Auseinandersetzung mit Maria Röschls Aufsatz „Von den Kräften des bildhaften Erlebens und ihrer Bedeutung für das soziale Leben unserer Zeit“ der Gedanke auf, ob nicht das Phänomen der „zweiten Pubertät“ eine Notwendigkeit ist, damit ein Mensch zu seiner ganz individuellen Aufgabe und Ideal-Kraft kommt.
In dem Vortrag vom 11. September 1920, den auch Röschl zitiert, sagte Rudolf Steiner: „Bilder, wenn sie mitgebracht werden aus dem geistigen Leben in dieses physische Leben herein, müssen unter allen Umständen, wenn Heil für den Menschen und für sein soziales Leben entstehen soll, unbedingt sich mit dem astralischen Leib verbinden, während sich das Bildlose nur verbindet mit dem Ich. Und es war vorzugsweise die Auslebung des Ich, welche in der Menschheit seit der Mitte des 15. Jahrhunderts geblüht hat. Jetzt aber beginnt die Zeit, wo der Mensch fühlen muß: In dir leben aus vorgeburtlichem Leben heraus Bilder, die mußt du in dir während des Lebens lebendig machen. Das kannst du nicht mit dem bloßen Ich, das muß tiefer in dich hineinwirken; das muß bis in den astralischen Leib hineinwirken.“
Das ist in Bezug auf die Menschheit. Wie ist es in der biographischen Entwicklung des Einzelnen heute?
Abgesehen davon, dass der Mensch in einer vom materiellen Denken geprägten Umgebung aufwächst, begegnet er spätestens in seiner Pubertät durch die Schule die Inhalte der modernen Naturwissenschaft. Wie aber gelingt die Auseinandersetzung mit dem naturwissenschaftlichen Denken, wie gelingt die Ausbildung der Abstraktionsfähigkeit, ohne dass der Mensch auf der Strecke bleibt?
Nehmen wir an, wie in meinem Falle, es wird kein Umgang gefunden und man gelangt weiter in Ausbildungsstrukturen, die von der materiellen Erkenntnisweise geprägt sind, dann muss man sich fragen, ob man nicht auch der Möglichkeit beraubt wird, Bilder – oder vielleicht Ideale – als ernst zu nehmende Wegweiser anzuerkennen. Ideale hatte ich nicht mehr, als ich ans Jugendseminar kam. Doch mit der Zeit, nachdem ich tief, tief in mir fühlte, dass da ein eigenes Wollen sich äußern möchte, kam ich zu den Gedanken, von denen ich sagen kann, dass sie mir zu Idealen geworden sind.
Könnte es also sein, dass das ein Aspekt davon ist, was Steiner meint, wenn sich Bilder mit dem astralischen Leib verbinden müssen? Röschl sagt dazu noch: „Das aber heisst, bis in das des Empfindens fähige Gebiet der Seele.“
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This text is a kind of transcription of a short contribution during the Youth Section Co-workers gathering at Warmonderhof in the Netherlands in May. The thoughts in it arose during the discussion of Maria Röschl's "The Second Man in Us".
I keep reliving in my mind the moment when I came to the Freies Jugendseminar in Stuttgart at the age of 27: a group of 35 young people in a house who took their touchability, physical and emotional, so much for granted that I felt pale and cold next to them. In the weeks that followed, I asked myself whether I would be able to transform my already stable, perhaps somewhat bourgeois inner life at all; it just seemed too late for a "second puberty". But it did come, and I experienced the same with older youth seminar participants; there is something of a defrosting of the soul that takes place.
This can also be experienced when dealing with Anthroposophy. While I started out with a haughty appraisal, I developed a (and this is how I experience it with others) touchability through thought, so that Anthroposophy is no longer an intellectual mind game, but can be experienced more deeply.
So what happened there? There are, of course, explanatory aspects, especially with regard to the process at a place of development such as the Jugendseminar, which is supposed to support you in finding yourself. However, while discussing Maria Röschl's essay "The New Pictorial Perception and its Meaning for Mankind Today", the thought occurred to me as to whether the phenomenon of the "second puberty" is not a necessity in order for a person to achieve their own individual task and ideal power.
In the lecture given on September 11, 1920, which Röschl also quotes, Rudolf Steiner said: "Images, when they are brought from the spiritual life into this physical life, must under all circumstances, if salvation is to arise for the human being and for his social life, necessarily connect with the astral body, while the imageless only connects with the ego. And it was preferably the expression of the ego that has flourished in humanity since the middle of the 15th century. Now, however, the time begins when man must feel: Images live in you from prenatal life, which you must bring to life in you during your life. You cannot do this with the mere ego, it must work deeper into you; it must work right into the astral body."
That is in relation to humanity. What about the biographical development of the individual today?
Apart from the fact that people grow up in an environment characterized by material thinking, they encounter the content of modern science through school at the latest when they reach puberty. But how can we successfully engage with scientific thinking and develop the ability to think abstractly without falling by the wayside?
Let's assume, as in my case, that no way of engagement is found and we continue to find ourselves in educational structures that are shaped by the material way of knowing, then we have to ask ourselves whether we are not also deprived of the possibility of recognizing images - or perhaps ideals - as signposts to be taken seriously. I no longer had ideals when I came to the Jugendseminar. But over time, after I felt deep, deep inside me that there was a will of my own that wanted to express itself, I came to thoughts that I can say have become ideals for me.
So could it be that this is an aspect of what Steiner means when he states that images have to connect with the astral body? Röschl also says: “That means, into the area of the soul capable of feeling."
Lukas Schaaf
August 2024